Referat und Diskussion mit dem Slawisten und Historiker Theodor Domej.
Um 10:00 Uhr trafen wir uns im Tišler-Saal1 beim Hermagoras-Verlag in Klagenfurt. Theodor Domej war beruflich vor allem im Bildungsbereich tätig, zuletzt bis Ende 2014 als Fachinspektor für Slowenisch an mittleren und höheren Schulen in Kärnten.

Die inhaltliche Einleitung von Theodor Domej
Das Windische
Antislowenismus legitimiert durch die Windischen-Theorie
Das zweisprachige Schulwesen in Kärnten
Welche Vorteile hat die zwei- und mehrsprachige Bildung?
Zum Abschluss ein Überraschungsgast
Die inhaltliche Einleitung vpn Theodor Domej
Für Domej ist es ein Faktum, dass Slowenisch in Kärnten auch heute in seiner Existenz bedroht ist. „In vielen Orten ist Slowenisch nicht mehr Alltagssprache, in tausenden Familien wird es nicht mehr von Generation zu Generation weitergegeben“, sagt er. Lichtblicke sind für ihn die hervorragenden Leistungen der Volksgruppe im kulturellen und künstlerischen Bereich. „Wohltuend ist auch, dass verbale und symbolische Angriffe abgenommen haben und im parteipolitischen Konkurrenzkampf die Situation der Minderheiten kaum noch als publikumswirksames Streitthema eingesetzt werden kann. Selbst die Gedenkpolitik bekam einen versöhnlichen Charakter“, betont Domej. Wesentlich sind für ihn die höheren Schulen mit slowenischer Unterrichtssprache. „Ihnen ist zu verdanken, dass die Zahl der Kärntnerinnen und Kärntner mit hoher Slowenisch-Kompetenz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunahm. Allerdings nahm gleichzeitig die Zahl der ‚Native Speaker‘ massiv ab. Das ist ein Paradoxon der Entwicklung in Kärnten. Die Assimilation schreitet also voran“, so Domej. Unverständlich ist es für ihn, dass es nur wenige betroffen zu machen scheint, „dass der Sprachtod reiche Ernte hält“2.
“Das Windische”
Eine breite Diskussion nahm die Entstehung, Geschichte und Funktion des “Windischen” im historischen Kontext bis zum heutigen Alltag ein. Das erste Buche wurde 1550 in slowenischer Sprache gedruckt3.
Nach der Abtrennung von Kärnten um 1002 wurde die Krain eine selbstständige Grenzmark mit eigenen Markgrafen. Ab 1364 war sie Herzogtum und ab 1849 österreichisches Kronland4. Die Krain war in der österr. Monarchie das größte slowenischsprachige Land. 90 Prozent der Bevölkerung hatten slowenisch als Muttersprache. Allerdings wurde damals das Slowenische als Krainerisch bezeichnet.

In der Pillerdorfschen Verfassung5 von 23.12.1867 wurde erstmals die Rechte der Volksstämme in der Monarchie geregelt. Heute heisst dazu im Art. 19 StGG (Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger):
Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache.
Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate anerkannt.
In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämme wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, daß ohne Anwendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volksstämme die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält6.
Bei der Volksabstimmung am 10. Oktober 1920 in Südkärnten entschieden sich 59,04 %der Wahlberechtigten für Österreich. Ausschlaggebend für dieses Ergebnis waren die 12000 Stimmen für Österreich aus den Reihen der Kärntner Slowen:innen.7
Antislowenismus legitimiert durch die Windischen-Theorie8
Die Erste Republik honorierte das Votum der Kärntner Slowen:innen vom 10. Oktober 1920 für Österreich damit, dass sie diese einer zügellosen Germanisierung preisgab9.
Martin Wutte, Obmann des Kärntner Heimatsbundes, Leiter des Kärntner Landesarchivs und späteres NSDAP-Mitglied10 nutzte die Ergebnisse der Volksabstimmung von 1920, um die “Windische-Theorie” zur Germanisierung und sie als wirksames Mittel gegen die Minderheit in Stellung zu bringen. Historiker wie er lieferten die theoretische Untermauerung für den Antislowenismus. Es war der Versuch die slowenischsprechende Bevölkerung Südkärntens “völkisch” in zwei Kategorien einzuordnen11:
- Kärntner Slowen:innen, die die Schriftsprache beherrschten und 1920 für Slowenien gestimmt hatten, erhieleten die -bezeichnung “Nationalslowenen”. Sie wurden des Hochverrats beschuldigt und als Landesfeinde bekämpft.
- Alle anderen Kärntner Slowen:innen, die keinen Wert auf die slowenische Sprache legten, wurden zu sogenannten “Windischen”, die gleichsam als heimattreu und deutschfreundlich galten.
Andreas Moritsch12 meint 1996: “Die von den Deutschen erfundene nationale Hilfsideologie des Windischen kann mit Recht als “ethnische Säuberungsideologie” bezeichnet werden.“
1939 kam es bei der Volkszählung erstmals zur Unterscheidung zwischen “Windischen” und “Slowenen“. Darüber hinaus wurde nach Volkszugehörigkeit und Muttersprache getrennt gefragt, sodass es auch möglich war, sich dem “deutschen Volk” zugehörig zu fühlen und dennoch Slowenisch als Muttersprache anzugeben13. Über die Zeit im Nationalsozialismus und die große Anzahl Kärntner NSDAP-Mitglieder widmen wir uns im Bericht des fünften Tages.
1974 schreibt Ludwig Flaschberger:14 “Wer die Kärntner Situation kennt, weiß, dass es durchaus üblich ist, “windisch” als spöttische und abschätzige Bezeichnung für eine minderwertige angesehene Gruppe zu gebrauchen. Vielfach wird auch das Wort “Tschusch” verwendet, verbunden mit der Aufforderung, doch nach Jugoslavien auszuwandern.15“
Wer sind die Träger:innen dieser antislowenischen Haltung bis heute: lokale kleine Männerbünde, Gesangsvereine, Feuerwehren, Jagdverbände, Kameradschaften, etc. Zwei bedeutende Proponent:innen antislowenischer Politiken sind die zwei großen Heimatverbände – Kärntner Heimatdienst (KHD) und der Kärntner Abwehrkämpferbund (KAB).
Das zweisprachige Schulwesen in Kärnten16
Dieses Schulgesetz wurde 1988 novelliert, womit drei wesentliche Neuerungen eingeführt wurden: In Klassen mit zweisprachigem Unterricht wurde die Klassenschülerhöchstzahl gesenkt; die Teilung nach dem Kriterium der Unterrichtssprache wurde erleichtert; in Klassen, in denen Schüler/innen, die zum zweisprachigen Unterricht angemeldet sind, gemeinsam mit solchen schulisch betreut werden, die nur in deutscher Sprache unterrichtet werden, wurde das Zweilehrersystem vorgesehen. 1990 erfuhr das Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten eine weitere Ergänzung: Bei nachhaltigem Bedarf wurde ein zweisprachiger Unterricht an Pflichtschulen auch außerhalb des Gebiets, in dem die slowenische Volksgruppe traditionell beheimatet ist, möglich (auf dieser Basis wurde in Klagenfurt eine öffentliche zweisprachige Volksschule eröffnet).
Wichtige Marksteine in der Entwicklung des Schulwesens für die slowenische Volksgruppe und das zwei- und mehrsprachige Bildungsangebot in Kärnten waren die Gründung des Bundesgymnasiums und Bundesrealgymnasiums für Slowenen in Klagenfurt (1957), die Eröffnung der Zweisprachigen Bundeshandelsakademie in Klagenfurt (1990) und der Ausbau einer zweisprachigen Privaten höheren Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe in St. Peter bei St. Jakob im Rosental (1989).
Welche Vorteile hat die zwei- und mehrsprachige Bildung?
Nachgewiesen sind folgende Vorteile:
- persönliche Bereicherung
- Förderung der interkulturellen Fähigkeiten
- gute Voraussetzung für den Erwerb weiterer Sprachen
- Offenheit für andere Kulturen, Länder und Menschen
- gute Berufsperspektiven
- Kreativität und Flexibilität im Denken
- Neugier und Offenheit für neue Situationen

Zum Abschluss ein Überraschungsgast

Valentin Inzko17 war vom 1. März 2009 bis zum 31. Juli 2021 Hoher Repräsentant für Bosnien und Herzegowina. Er begrüßte uns im Namen des Rat der Kärntner Slowenen.
Der Rat der Kärntner Slowenen18 ist eine dem christlichen Weltbild verbundene Organisation. Er ist bemüht, auf dem Boden der österreichischen Verfassung stehend, die Identität der Kärntner Slowenen zu stärken und zu einem fruchtbringenden Zusammenleben beider Volksgruppen in Kärnten beizutragen.
Der Rat hat in seiner Geschichte immer das eigenständige politische Wirken der Kärntner Slowenen sowohl auf Gemeinde- wie nach Möglichkeit auch auf Landesebene unterstützt.

Quellenverzeichnis
- Der Saal ist benannt nach Janko Tišler. Nach dem deutschen Einmarsch in Jugoslawien am 6. April 1941 wurde Tišler zum Bau der Straße von Klagenfurt nach Kranj abkommandiert. Er wurde dann als Vermessungsgehilfe am Loiblpass eingesetzt, wo Zwangsarbeiter im KZ Loibl, einer Außenstelle des KZ Mauthausen, arbeiten mussten. Er begann, Fotos und Dokumente zu sammeln und für die KZ-Häftlinge Briefe zu schmuggeln. Als seine Tätigkeit entdeckt wurde und die Gestapo ihn suchte, floh er und schloss sich 1944 den Partisanen an. Im Februar 1945 wurde er schwer verwundet und im Partisanenlazarett Franja nahe Cerkno behandelt. Er bekam am 8. Juni 2007 das Goldenes Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich. Informationen aus Wikipedia. ↩︎
- Inhaltliche Zusammenfassung anlässlich der Verleihung der Ehrenmedaille für Theodor Domej durch den Geschichtsverein für Kärnten im Juni 2023. ↩︎
- Die slowenischen Reformatoren um die Zentralgestalt Primož Trubar (1508–1586) druckten die ersten Texte in slowenischer Sprache und schufen vor allem mit der vollständigen Bibelübersetzung durch Jurij Dalmatin die Basis für eine slowenische Buchkultur. (Information aus Wikipedia) ↩︎
- Wikipedia zu Krain ↩︎
- Die Pillersdorfsche Verfassung, von Franz von Pillersdorf ausgearbeitet und nach ihm benannt, ist die erste österreichische Verfassung, die auf dem Prinzip des Frühkonstitutionalismus beruht. Sie wurde am 25. April 1848 erlassen, aber bereits am 16. Mai desselben Jahres durch eine Verfassungsnovelle zum Provisorium erklärt. Information von www.rechteasy.at ↩︎
- www.jusline.at ↩︎
- Marjan Pandel-Nittnaus, Slawische Spurensuche,GOgraphic, Jaunstein/Podjuna 21, 2024, Seite 46 ↩︎
- Dieses Kapitel ist eine inhaltliche Ergänzung zu den Ausführungen durch den Autors Werner Drizhal ↩︎
- siehe Judith Goetz, Seite 41 ↩︎
- Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage – Österreichisches Biographisches Lexikon, Wutte, Martin ↩︎
- Siehe Judith Goetz, Seite 37 ↩︎
- Ab 1964 war er Mitarbeiter am Institut für Ost- und Südosteuropaforschung der Universität Wien. Nach der Habilitation 1981 für Geschichte war er ab 1993 ordentlicher Universitätsprofessor für Geschichte Ost- und Südosteuropas an der Universität Klagenfurt. Andreas Moritsch – Wikipedia ↩︎
- Judith Goetz, Bücher gegen das Vergessen, Kärntnerslowenische Literatur über Widerstand und Verfolgung, Kitab-Verlag 2012, ISBN 978-3-902585-94-3, Seite 56 ↩︎
- Ludwig Flaschberger studierte Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Wien; Mitarbeiter im Österreichischen Institut für Raumplanung; Beamter im Sozialministerium, Arbeitsschwerpunkte: Statistik des Arbeitsmarktes; Minderheitenfragen in Kärnten. Mitverfasser mehrerer Bücher. ↩︎
- Kärnten – ein Alarmzeichen, Informations- und Pressedienst der Österreichischen Widerstandsbewegung (Ö.W.I.P.) Nr. 1/1974 ↩︎
- Information der Bildungsdirektion Kärnten – Historische Entwicklung / Zgodovinski razvoj, Jahresbericht über das Schuljahr 2019/2020 ↩︎
- Valentin Inzko – Wikipedia ↩︎
- Rat der Kärntner Slowen:innen – Aktuell – NSKS – Rat der Kärntner Slowenen ↩︎