Demokratisierung des Erinnerns

Die zunehmenden autoritären Tendenzen in unserer Gesellschaft drücken sich auch in unserer Geschichtskultur aus. Esbraucht eine Demokratisierung des Erinnerns! Auch die Geschichte ist ein Kampffeld aktueller politischer Auseinandersetzungen. Der Rundgang am Zentralfriedhof zeigt Geschichte aus Sicht der Arbeitnehmer:innen, der Unterdrückten, der Rechtlosen und der Armen.

Ankündigung im Aussendungsmail der AK-Bildung

Am 31. Oktober um 16:30 treffen wir uns in Dämmerung beim Tor 3. Wir haben Glück, den ganzen Nachmittag hat es geregnet und kurz vor Beginn unserer Tour zeigen sich erste helle Flecken am Himmel, die aber gleichzeitig den Sonnenuntergang ankündigen. Also sputen wir uns zu unserer ersten Station – dem Denkmal zum Revolutionsjahr 1848.

Brigitte schildert hier die Gründung des ersten Wiener Frauenvereins.

Wien ist prächtig, herrlich, die liebenswürdigste Stadt, die ich je gesehen; dabei revolutionär in Fleisch und Blut. Die Leute treiben die Revolution gemütlich, aber gründlich. Die Verteidigungsanstalten sind furchtbar, die Kampfbegier grenzenlos. Alles wetteifert an Aufopferung, Anstrengung und Heldenmut. Wenn Wien nicht siegt, so bleibt nach der Stimmung nur ein Schutt- und Leichenhaufen übrig, unter welchem ich mich mit freudigem Stolz begraben lassen würde.

ROBERT BLUM IM BRIEF AN SEINE FRAU AM 17. OKTOBER 1848

Informationen zu 1848

2. Station waren die Ehrengräber der Sozialdemokratie

Wenn man die Bezirke in Wien nach der Überfüllung der Wohnungen und der einzelnen Räume einerseits und nach der Mortalität andererseits ordnet, so erhalten sie eine Reihe, die vollständig parallel ist.

Victor Adler im NÖ. Landtag am 22. Juli 1902 zur Bekämpfung der Tuberkulose

3. Station – die Gedenkstätte zum 12. Februar 1934

Herzlichen Dank an Philip Taucher für die zur Verfügung gestellten Fotos.

In der Gruppe tauchte die Frage auf, ob die Namen, der heir begrabenen Schutzbündler bekannt seien. Folgende Namen habe ich in einem Artikel des “sozialdemokratischen Kämpfer” gefunden:

Heinrich (Johann) Berger,Josef Bröckl (geb. 25.6.1888), Musiker, gestorben 19. Februar 1934; Anton Herzog (geb. 1895); Franz Judex; Josef Kamenik (geb. 10.12.1887) erlitt am 12.
Februar 1934 beim Ausgang des Bahnhofes Heiligenstadt (19. Bezirk)

tödliche Schussverletzungen; Andreas Klein (geb. 1861); Jakob Koch; Hans Kreuschitz; Alfons Lakomy; Marie Lenker; Johann Menschik; Johann Mihalcsini; S. Nemecek; Franz Nerad (geb. 25.10.1895); Frau Novak; Gisela Rössler (geb. 1867); Johann Schwab; Johann Steininger; Gustav Stocker; Alexander Toth (geb. 26.2.1901), Eisengießer, erlitt am 13. Februar 1934 in der Brünner Straße 57 (21. Bezirk) durch einen Brustschuss
tödliche Verletzungen; JosefVanek; Franz Wondra

Arbeiter Zeitung vom 8. April 1934 – Seite 4

Informationen zum Februar 1934


4. Station Spanienkämpfer

Hans Landauer schreibt im Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer (1936 – 1939), dass unter den Freiwilligen, die Spanischen Bürgerkrieg gegen den Faschismus kämpften, sich knapp 1400 Österreicher befanden. – BuchVerlag der Theodor Kramer Gesellschaft – ISBN 3-901602-18-6.

Beispiel aus dem Buch – Seite 171

5. Station: Denkmal der Stadt Wien “Opfer für ein freies Österreich”

Am 1. November 1947 legte Bürgermeister Theodor Körner den Grundstein zur Errichtung des Mahnmals.

Kundgebung und Gedenkfeier am 1.11.2023

“Es war offenbar sehr schwer, aus dieser Wahrheit konkrete Gerechtigkeit für eine riesige Zahl von Einzelfällen zu schaffen – und zwar sowohl was die Täter als auch die Opfer betrifft”. Dazu hätte die Pflicht gehört, jenen Österreichern, die von den Nazis vertrieben und zur Emigration gezwungen wurden, nach dem Krieg die österreichische Staatsbürgerschaft automatisch zurückzugeben oder zumindest anzubieten. “Dass dies nicht geschehen ist, war ein großes Unrecht, das vielen sehr weh getan hat.”

Bundespräsident Heinz Fischer anläßlich des festaktes 70 Jahre Wiedererichtung der Republik


6. Station: Juli 1927

Ein Auszug von Grauslichkeiten dieses Tages:  (Julius Braunthal, Die Wiener Julitage 1927, Wienr Volksbuchhandlung, Wien 1927, Seiten 30f)

Auf der Ringstrasse wurde ein einzelner, hilferufender Verwundeter von einem Revierinspektor niedergestreckt.
Um 17:30 wurde bei der Sanitätsstation vor dem Stadtschulratsgebäude dem Arbeiter Bruno Peiska gezielt von der Polizei in den Rücken geschossen.
Ein Sanitätsauto wurde beim Planetarium unter wohlgezieltes Feuer genommen, dabei wurde eine Frau durch einen Kopfschuss getötet.

88 Menschen wurden durch die Polizei erschossen. Massenverhaftungen und Massendenunziationen – 919 Menschen wurden zur Anzeige gebracht. Bei 317 Anzeigen musste die Strafverfolgung eingestellt werden, obwohl sie mehrere Wochen in Haft waren. Bei den Prozessen wurden harmloseste Delikte unter schwere Anklage gestellt. Leute, die Autos angehalten haben, um Verwundete abzutransportieren, wurden wegen Erpressung zu Kerkerstrafen verurteilt.
Morde und Meuchelmorde von einzelnen Polizisten blieben frei von jeder Verfolgung und Strafe.

„Niemand hatte uns aufgefordert, zu demonstrieren, doch traf ich auf der Ringstraße viele Bekannte. Wir marschierten eine ganze Weile schweigend, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Wir fühlten uns eins in unserer Empörung über dieses Unrecht. Wir waren zutiefst in unserem Rechtsempfinden verletzt.“

Rosa Jochmann

7. Station – Frauen der Sozialdemokratie

Nach der Präsidentengruft am Weg zum Tor 2 sind wichtige Frauen der Sozialdemokratie und der Gewerkschaft begraben.

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