Die Brigittenau im Brennpunkt gesellschaftlicher Veränderungen

Samstag mittags im November vor der Volkshochschule in Brigittenau, ein kalter Wind pfeifft erstmals in diesem Herbst durch die Gassen. Trotzdem geht es mit 10 interessierten Teilnehmer:innen nach der Einleitung per BIM zum Hochstädtplatz.

Peter blickt auf die Überreste des Globusverlags, wo er vor 52 Jahren und 81 Tagen eine Lehre als Schriftsetzer begonnen hat.

Der Globus-Verlag war von 1945 bis 1993 der Parteiverlag der KPÖ, die auch hier ihren Sitz hatte. Nach der Restituierung des „arisierten“ Druckereigebäudes an den Steyrerrmühl-Konzern, errichtete die KPÖ in den Jahren 1954 bis 1956 durch vier nahestehende ArchitektInnen ein gemeinsames Projekt von vier damals topmodernen Gebäuden. Und zwar den achtstöckigen Verwaltungsbau (Wilhelm Schütte), das dahinter gelegene Druckereigebäude mit einem bogenförmigen Shed-Dach (Fritz Weber), einen dreistöckigen Trakt für die Zeitungsrotation (Karl Franz Eder) und Margarete Schütte-Lihotzky (eine der ersten Architektinnen) plante den vierstöckigen Personaltrakt inkl. eines großzügigen Festsaals, der 2 Stockwerke hoch war.

Die Gruppe beim ehemaligen Globusgebäude

Beim Denkmal von Johann Koplenig diskutierten wir über den Blutzoll, den die KPÖ durch die Nazis erlitten hatten. Die KPÖ hatte die meisten Opfer aller illegalen Organisationen, die gegen die Nazis Widerstand leisteten, zu beklagen. Es gibt Untersuchungen, die kommen zum Ergebnis, dass die KPÖ einer der Hauptträger des politischen Widerstands gegen das NS-Regime war. Mehr als 2000 Parteimitglieder verloren dabei ihr Leben.1

Brigitte schilderte welche Betriebe sich hier am beginnenden 20. Jhdt. ansiedelten. Zum Beispiel die Firma die Gebrüder Hardy am Höchstädtplatz 4. Sie erzeugten von 1889 – ca. 1942 Druckluft-Bremsen und Hörner. Hier wurden Vakuumbremsen für Personenaufzüge und die selbsttätig wirkende Eisenbahn-Vakuumbremsen, die eine revolutionierende Entwicklung in der Sicherheit der Eisenbahn darstellte. Der Beschäftigtenstand stieg von anfangs 80 in 10 Jahren auf 400. Seine zwei Söhne nahmen nach dem Tod des Vaters die Erzeugung der Bremsen auf. Das Geschäft nahm einen rapiden Aufschwung, da die Gebrüder Hardy die einzigen Hersteller der Eisenbahn-Vakuumbremsen in der Donaumonarchie waren. Teile für Signalanlagen im Eisenbahnbetrieb wurden ebenfalls hergestellt. Auch Drucklufthörner (Hupen) für die Postautobusse gehen auf die Erfindung der Brüder Hardy zurück.

In der Meldemannstrasse beim ehemaligen Männerledigenheim schilderte Peter die Situation:

Es gab für 544 Männer 24 Säle mit getrennten Schlafabteilen, sowie gemeinsame Tagesräume, wie Speisesaal, Bibliothek, ein Lesezimmer mit Tageszeitungen und einer Raucher- und Nichtraucherabteilung….

Die Schlafabteile wurden abends um 20 -uhr geöffnet und mussten morgens gegen 9 Uhr wieder geräumt werden. Sie waren 1,4 Meter breit und 2,17 Meter lang. Darin standen ein Bett, ein Tischchen, ein Kleiderständer und ein Spiegel.

Jüdische und Tschechische Zuwanderung

Während sich die Tschech:innen durch ihre Sprache von den ortsansässigen Wiener:innen unterscheiden, ist fast jeder neue jüdische Bewohner der deutschen Sprache mächtig. Die Konfession der Tschech:innen entspricht der Mehrheitsbevölkerung, während der jüdische Glaube durch den herrschenden Antisemitismus auf breite Vorurteile stösst.
Bereits bei der Gründung des Bezirks um 1900 gab es hier einen hohen jüdischen Anteil (ca. 18 %) an der Gesamtbevölkerung. Zentrum des jüdischen Leben war die “Alt-Brigittenau” mit der Synagoge in der Kluckygasse. Die meist ärmlichen jüdischen Zuwander:innen waren auf die jüdischen Unterstützungsvereine angewiesen.
Die zweite Gruppe von Zuwander:innen, die Zwischenbrücken entscheidend prägte, waren die Tschech:innen. Sie stellten 11,5 % der Bevölkerung im Bezirk und sie organisierten sich in Parteien und Vereinen. Der Schulverein “Komensky” ließ hier eine eigene Schule mit Öffentlichkeitsrecht hier errichten. Nach der Gründung des Staates Tschechoslowakei gab es eine starke Rückwanderung in die ehemalige Heimat. Geblieben sind die vielen tschechischen Familiennamen.

Der Wohnbau im Roten Wien

Weiter gings es entlang der üblichen Tour:

  • Lorenz-Böhler-Krankenhaus
  • AUVA
  • Betriebe: Wiener Eisfabrik, Czeija und Nissl, RAVAG
  • Winarsky-Hof
  • Das jüdische Leben im Bezirk
  • Meldemanngasse – Männerledigenheim
  • Globusverlag

Herzlichen Dank an die Verantwortlichen in der VHS-Brigittenau für die Zusammenarbeit und dass dieser Rundgang angeboten wird.


Quellenverzeichnis

  1. Florian Schwanninger, Im Heimatkreis des Führers – Nationalsozialismus, Widerstand und Verfolgung im Bezirk Braunau 1938 – 1945, 2. Auflage 2007, Buchverlag Franz Steinmaßl, Grünbach, Seite 106, ISBN 3-902427-18-3 ↩︎

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